Der Gebrauchtwagenmarkt für Elektroautos wächst, und mit ihm die Angst vor dem teuersten Ersatzteil: der Batterie. Immer mehr Händler werben mit Zertifikaten, die in wenigen Minuten per Stecker den Gesundheitszustand des Akkus bescheinigen. Doch Experten warnen vor Missverständnissen: Zwischen einer physikalischen Messung und einer algorithmischen Analyse liegen Welten.
Wer heute einen gebrauchten Verbrenner kauft, hört auf den Motorlauf und prüft das Scheckheft. Beim Elektroauto herrscht oft Ratlosigkeit. Der Akku ist eine „Black Box“, fest verbaut und von außen nicht zu beurteilen. Diagnose-Dienstleister haben diese Marktlücke erkannt und bieten Lösungen an, die Sicherheit versprechen. Doch das Verfahren, das derzeit den Markt flutet, ist technisch betrachtet ein Kompromiss.
Um die Aussagekraft dieser Zertifikate zu verstehen, muss man den Unterschied zwischen „Auslesen“ und „Messen“ kennen.
Das Verfahren: Big Data statt Physik
Das derzeit populäre Schnelltest-Verfahren (oft „Flash-Test“ oder „Quick-Check“ genannt) wirbt damit, innerhalb von ca. drei Minuten im Stand ein Ergebnis zu liefern. Technisch passiert dabei Folgendes:
Ein Dongle wird an die OBD-Schnittstelle (On-Board-Diagnose) des Fahrzeugs angeschlossen. Das Gerät kommuniziert direkt mit dem Batterie-Management-System (BMS) des Autos. Das BMS ist der interne Computer, der den Akku überwacht. Der Dongle fragt Parameter ab wie:
- Zellspannungen (Min/Max/Differenz)
- Zelltemperaturen
- Interne Widerstände (sofern vom BMS berechnet)
- Ladezyklen und Historie
Das Problem: Fragt man nur das BMS nach dem Zustand, erhält man keine objektive Außenmessung, sondern die Eigeneinschätzung des Autos. Ein BMS kann jedoch durch Alterung, Kalibrierungsfehler oder Software-Bugs falsch liegen („Drift“).
Die Lösung der Anbieter: Um diese Fehlerquelle zu minimieren, nutzen die Anbieter Cloud-Algorithmen. Die ausgelesenen Rohdaten werden online mit einer riesigen Datenbank verglichen. Der Algorithmus weiß beispielsweise: „Ein Modell X mit 50.000 km Laufleistung hat üblicherweise eine Zelldifferenz von 0,01 Volt. Das aktuell getestete Auto hat aber 0,05 Volt.“
Aus diesen Abweichungen errechnet der Anbieter einen Wahrscheinlichkeitswert (Score).
Die Grenzen der Methode: Indizien vs. Beweise
Ist das Ergebnis also nur „Schein“? Nein, aber es ist keine Messung der Kapazität. Es ist eine Plausibilitätsprüfung.
- Stärke bei Defekten: Der Schnelltest ist hervorragend geeignet, um „faule Eier“ zu finden. Eine defekte Zelle verrät sich durch eine abweichende Spannung oder einen zu hohen Innenwiderstand. Diese „Red Flags“ erkennt der Test sofort. Für die Sicherheit (Brandgefahr, Ausfallrisiko) ist der Test sehr zuverlässig.
- Schwäche bei der Reichweite: Eine Batterie kann chemisch altern und an Kapazität verlieren, ohne dass die Zellspannungen stark voneinander abweichen (gleichmäßige Degradation). In diesem Fall kann der Schnelltest nur schätzen. Er kann nicht physikalisch beweisen, ob noch 50 kWh oder nur 45 kWh in den Akku passen, da er den Stromfluss nicht gemessen hat.
Der Goldstandard: Der dynamische Fahrtest
Im Gegensatz zum Schnelltest steht der ausführliche Fahrtest. Hierbei muss das Auto von 100 % auf unter 10 % leergefahren werden, während das Diagnosegerät angeschlossen ist.
Hierbei findet eine echte physikalische Integration statt: Das Gerät misst Stromstärke (I) und Spannung (U) über die Zeit (t).
Am Ende weiß man exakt, wie viel Energie tatsächlich aus dem Akku geflossen ist. Dies ist der einzige Weg, den SoH (State of Health) in Prozent wasserdicht zu bestimmen. Dieser Test dauert jedoch 1 bis 2 Stunden und ist für den schnellen Fahrzeughandel logistisch kaum umsetzbar.
| Merkmal | Der Schnelltest (Statisch) | Der Fahrtest (Dynamisch) |
| Zeitaufwand | Wenige Minuten | 60–120 Minuten |
| Was wird gemacht? | Diagnose der BMS-Daten + Algorithmus | Messung der Energieentnahme |
| Ergebnis | Bewertungsscore / Risikoeinschätzung | Exakte Kapazität in % |
| Präzision | Toleranzbereich ca. 3–5 % | Sehr hoch (< 1–2 % Toleranz) |
| Geeignet für | Schnellen Ankauf, Leasingrückläufer, Sicherheitscheck | Gerichtsgutachten, Garantieansprüche, Endkunden-Gewissheit |
Fazit: Vertrauen, aber verifizieren
Die neuen Schnelltests sind kein Marketing-Gag, aber sie werden oft falsch kommuniziert. Sie sind vergleichbar mit einem Blutbild beim Arzt: Es zeigt, ob Entzündungswerte vorliegen oder Organe akut gefährdet sind. Es sagt aber nicht exakt voraus, wie schnell der Patient einen Marathon laufen kann.
Für den Gebrauchtwagenkäufer bedeutet das:
- Ein positives Schnelltest-Zertifikat gibt Sicherheit, dass die Batterie keinen Defekt hat und das BMS plausible Werte liefert.
- Es ist jedoch keine Garantie für die exakte Reichweite auf den Kilometer genau.
Wer ein teures Premium-E-Auto von Privat kauft und absolute Sicherheit über die Restreichweite will, sollte auf dem aufwendigen Fahrtest bestehen. Für den regulären Handel ist der Schnelltest jedoch ein legitimes Werkzeug, um die „Katze im Sack“ transparent zu machen – solange man weiß, dass es sich um eine algorithmische Diagnose und nicht um eine physikalische Kapazitätsmessung handelt.
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